Wie uns die Digitalisierung von Kulturgütern fesselt und befreit

„Besitze nie mehr, als in einen Koffer passt“, meint der Volksmund. Das hat bislang bei mir schon deshalb nicht geklappt, weil ich jedes gute Musikalbum, jede angepriesene US-Serie und alle spannenden Krimis am liebst sofort gekauft, rezipiert und ins Regal gestellt habe. Mich davon trennen? Nie und nimmer.

Künftig wird uns allen diese Entscheidung abgenommen. Mit in den Koffer muss nur noch ein mobiler Computer (Mobile Device), wenn am Zielort die richtige Internetbandbreite auf uns wartet. Denn die private Bibliothek an Büchern, Filmen und Musik steht künftig nicht mehr bei uns im Wohnzimmer, sondern wartet an jedem Ort der Welt schon in der jeweils passenden Playlist auf uns. Das ist praktisch, denn Besitz belastet ja auch. Das Ganze hat aber auch seine Tücken:

Besitz ist nicht gleich Eigentum

Klingt nach juristischer Erbsenzählerei, ist es aber nicht: Besitz ist nicht gleich Eigentum. Denn bei den meisten Anbietern von digitalen Inhalten erwirbt der Käufer nicht das uneingeschränkte Eigentum an dem Werk, sondern lediglich das Nutzungsrecht. Man besitzt das Buch oder den Film also, ist jedoch nicht sein Eigentümer. Bezogen auf die AGB von Amazon beispielsweise heißt das, dass der Internetversandhändler jederzeit ein Nutzerkonto sperren kann (vgl. http://bit.ly/1dPn1dl). Ein Grund für eine solche Sperrung liegt bei Amazon schon vor, wenn Ware zu häufig zurückgesandt wird (vgl. http://bit.ly/LKsjzC). Danach kann man nicht nur nichts mehr bestellen, auch der Zugriff auf weitere zum Teil bereits bezahlte Inhalte ist nicht mehr möglich. Mit dem Konto sind zum Beispiel auch alle Nutzungsrechte an gekauften E-Books weg. Kein Konto, keine Online-Bibliothek. So kehrt sich der Vorteil, alle gekauften Medien jederzeit überall zur Verfügung stehen zu haben, ins krasse Gegenteil um. Denn an jeder Cloud ist auch ein Schalter, den man ausknipsen kann.

Gefährliche Monopole

In Sachen Buch und Film macht sich Amazon auf, die Marktherrschaft an sich zu reißen. Klingt dramatisch, könnte es auch werden. Der Journalist Sebastian Dalkowski hat in einem Artikel für die „Rheinische Post“die Befürchtungen in Sachen Amazon auf den Punkt gebracht: „Kürzlich schrieb ein Journalist in einem Artikel für das US-Online-Magazin Slate: „The goal is to get people to reorganize their lives around Amazon’s delivery infrastructure, not to make a quick buck.“ Amazon macht auch im Gegensatz zu Apple und Google nur geringe Gewinne, weil das Unternehmen das meiste wieder investiert. Ich sollte Angst vor dem Tag haben, an dem Amazon alle anderen verdrängt hat und dann den Kunden nicht mehr König sein lässt. Der „New Yorker“ fragt in einem aktuellen Artikel über Amazon und damit auch unsere Zukunft: „When the last gatekeeper but one is gone, will Amazon care whether a book is any good?““Anders gesagt: Über seine aggressive Geschäftspolitik baut Amazon an einem Monopol, das am Ende nicht nur über die Preise von Waschmaschinen und Kapuzenpullis entscheidet, sondern auch über die Verbreitung von Worten und Gedanken.

Digitale Enterbung

So, wie ich persönlich schon zu Lebzeiten den Zugriff auf meine digitale Bibliothek gesperrt bekommen kann, ist spätestens mit meinem Tod Schluss. Bislang ist es nicht möglich, mein Nutzerkonto auf meine Erben zu übertragen, um ihnen den Zugriff auf meine Buch-, Film- und Musiksammlung zu ermöglichen. Früher schlugen sich die Kinder und Enkelkinder um Schallplatten, Bücher und VHS-Cassetten. Heute gehen sie leer aus.

Aber vielleicht interessiert es die nächste Generation auch gar nicht, was der Alte in seinen virtuellen Regalen für Schätze hortet. Vielleicht ist es eine Generationenfrage, die mich überhaupt über das Thema nachdenken lässt. Schließlich kaufen viele junge Leute heute schon längst keine CD, DVD und Blueray mehr, sondern haben sich daran gewöhnt, alles zu jeder Zeit bei Spotify, Youtube und Co. nachschauen zu können. Warum da noch einen Silberling zu Hause horten, den ich doch nie dabei habe, wenn ich ihn meinen Freunden vorspielen möchte?

Langfristig spricht ohnehin vieles gegen physische Datenträger. So halten die wenigsten DVD und CD ihre Daten länger als eine Generation lang sicher bereit. Schlecht, wenn der Lieblingsfilm dem digitalen Zerfall zum Opfer fällt.

Quelle: http://www.wollmilchsau.de/verschwindet-unsere-kultur-im-digitalen-nebel/

So lange es also Streaming-Dienste gibt, die immer alles vorrätig halten, braucht es keine physischen Datenträger, die ich ins Regal stellen kann. Lösen muss ich mich nur von dem Gedanken, etwas für immer besitzen zu wollen. In den Laden zu gehen, um es einzupacken, zu bezahlen und mit nach Hause zu nehmen. Dann komme ich auch mit einem Koffer aus.

Ich glaube, dass künftige Generationen ohnehin weniger am physischen Besitz von Kulturgütern kleben werden. Vielmehr werden Flatrates den Bedarf abdecken. Durch sie wird man jederzeit für einen festen Obolus Zugriff auf alles haben, was Musik, Film und Literatur so hergeben. Das Besitzen und Vererben-Wollen erübrigt sich dann.

Durch die Entwicklung werden jedoch zugleich neue Fragen aufgeworfen: Wer bietet diese Flatrates an und gibt es einen wirtschaftlichen Wettbewerb der Plattformen? Sollte der Staat hier ein Angebot machen, oder droht dann Zensur? Steuern wir auf eine Kulturflatrate zu und welche Rolle spielt hier der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der sich immer weiter der nicht-linearen Verbreitung öffnen muss und wird? Und welche Anforderungen stellt das immer stärker wachsende Streaming von Inhalten (neben dem Cloud-Computing) an die Netzinfrastruktur?

Dazu lesen Sie schon bald mehr in diesem Blog!

 

Gepostet vor 12th March von

 

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