„Die kalifornische Herausforderung“ titelte die ZEIT-Stiftung und lud jetzt nach Hamburg ein, um mit illustren Referenten und vor 800 angemeldeten Teilnehmern die Digitalisierung unseres Lebens zu besprechen. Kein Vortrag und keine Diskussion ohne den Hinweis darauf, dass Amerika viel weiter und überhaupt die große Konkurrenz ist, zu der man aufholen muss. Mit ganz unterschiedlichen Rezepten.
Noch sei es nicht zu spät, die richtigen Entscheidungen zu treffen, stellte eingangs Dr. Carsten Brosda fest, in der Hansestadt Hamburg verantwortlich für Medien- und Netzpolitik. „Am Ende verlaufen Veränderungen wie diese nicht so schnell wie befürchtet, dafür aber in größeren Dimensionen als erwartet“, begrüßte Brosda die Teilnehmer im Hamburger Kampnagel. Die so gewonnene Zeit nutze seine Stadt, um die Digitalisierung zu diskutieren und – wo nötig – gesetzliche Rahmen zu schaffen. So geschehen zum Beispiel beim Portal „Airbnb“, das zuvor noch durch die Vermittlung von wertvollem Wohnraum an Touristen den ohnehin angespannten Wohnungsmarkt Hamburgs weiter strapaziert hatte. Man müsse das eben nur wollen und auch gegen juristische Einsprüche durchfechten.
Ein Ansatz, den Viktor Mayer-Schönberger sicherlich begrüßen würde. Der Big-Data-Experte gilt als einer der glühendsten Verfechter der Chancen, die sich durch die massenhafte Auswertung von Daten ergeben können – so zum Beispiel für den Gesundheitssektor oder den Bildungsbereich. Er sieht aber eben auch die Risiken der Technik, die – wie es Mercedes Bunz am gleichen Nachmittag formuliert – nicht an sich böse ist: „Maschinen haben kein Interesse an menschlicher Ausbeutung. Oft beschuldigen wir die Technik, wenn wir fiesen Kapitalismus meinen.“
Viktor Mayer-Schönberger lieferte die Beispiele, bei denen die ungezügelte Nutzung von Big Data kritisch wird. So sei es durchaus möglich, die Wahrscheinlichkeit zu errechnen, ob jemand ein guter Autofahrer werde. Wenn Versicherungen dieses Wissen nutzen, könnte für manche Pkw-Halter die Police unerschwinglich oder von vornherein ausgeschlossen werden. Vielleicht hat sogar der Staat ein Interesse daran, schlechte Autofahrer schon vom Erwerb eines Führerscheins abzuhalten – im Sinne der allgemeinen Sicherheit ein Gewinn, für das Individuum schrecklich und möglicherweise völlig ungerechtfertigt, denn wer weiß schon, ob die Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich eintritt? Schon jetzt entscheiden viele US-Bundesstaaten über Bewährungsstrafen auf Grundlage algorithmischer Vorhersagen der Rückfallwahrscheinlichkeit des Delinquenten. Und zu guter Letzt läge es nur nahe, bei der Krankenversicherung diejenigen zu belohnen, deren rund um die Uhr festgehaltenen Vitalwerte optimal sind, während alte und chronisch kranke Menschen mit einem Malus belegt würden.
„Die Verwendung von Daten muss reguliert werden!“
„Ein allgemeines Diskriminierungsverbot hilft da nicht“, so Mayer-Schönberger „weil wir im Leben ständig für oder gegen etwas entscheiden müssen.“ Es brauche deshalb eine „vergesellschaftliche Kontrolle“ (meint: staatliche Regulierung) plus der „bewussten Ignoranz“ (meint: Gewisse Wahrscheinlichkeiten muss und will ich nicht kennen – zum Beispiel zu meinem eigenen Todesdatum.). Das ganz klare Votum des Professors für Internet Governance an der Universität Oxford: „Die Verwendung von Daten muss reguliert werden!“ Transparenz alleine löse das Problem nicht: „Denn was nutzt Ihnen eine 4.000-seitige Anleitung des Algorithmus? Das lesen Sie nie und verstehen es erst recht nicht.“
Auch die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei sprach zur kalifornischen Herausforderung. Der Ansatz von Marina Weisband geht dabei in Richtung Empowerment von jungen Menschen. Dafür wird sie demnächst in Schulen gehen, um dort „Liquid Democracy“ zu üben, also einen partizipativen Prozess, bei dem Lehrer, Eltern und Schüler Verbesserungen für ihr Lebensumfeld vorschlagen können. Diese werden um sinnvolle Vorschläge ergänzt, von der Schulgemeinde abgestimmt und nach einem Okay der Schulleitung auch umgesetzt. „Auch wenn ich mich aus Desinteresse nie an irgendeiner Sache beteiligt habe, kommt bei jedem irgendwann der Punkt, wo es um etwas geht, was mich persönlich betrifft“, so Weisband. Und dann stimme man mit ab, beteilige sich und sei mittendrin in der Demokratie. Die müsse man den Schülerinnen und Schülern tatsächlich erst beibringen: „Ich sitze, bis ich 18 Jahre alt bin, in der Schule und zeige auf um zu fragen, ob ich auf die Toilette gehen darf. Und kurz drauf soll ich ein Parlament wählen. Das passt irgendwie nicht.“
Titelbild: Damian Gadal via flickr (CC BY 2.0)